Tanzwirtschaft

Auszug aus „Kaffee Burger. Kult“ von Moritz Rinke:

(…) Ich stehe am anderen Ende der Bar und denke darüber nach, ob ich eigentlich Probleme habe, und warum ich nicht auch einfach mal etwas betont unangepasster aussehen könnte, weil, so etwas schüchtert mich ja persönlich immer sehr ein: Leute, die mir so betont unangepasst gegenübertreten und die sich wahrscheinlich stundenlang damit beschäftigen, wie sie betont unangepasst und trotzdem gut dabei aussehen könnten: ja, diese Menschen geben vor, dem herkömmlichen Zeichen kapitalistischer Außenansichten zu entsagen, aber sie machen sich stundenlang Gedanken darüber, wie das aussehen könnte. Ich glaube, so etwas nennt man „Szene“.
Ich hole mir noch einen Wodka und starre erst auf die Velourstapeten, dann auf die Resopaltäfelung und jetzt wieder auf den armen Lesetisch.

Das Kaffee Burger füllt und füllt sich immer mehr. Plötzlich sagt hinter mir jemand: „Du stell dir vor, ich hatte letzte Woche eine Schreibblockade!“, aber ich traue mich nicht, mich umzudrehen, weil ich plötzlich denke: Alles Literaten hier! Überall Literaten ringsum! Die haben auch alle Zettel auf den Sprelacart-Tischen und Stifte und rauchen und notieren Gedanken. Eine Tatsache, die mich ungemein einschüchtert: mindestens hundert Literaten, alle rauchend und notierend und in einer kleidermäßig betonten Absage herkömmlicher Zeichen, circa siebzig Wim-Wenders-Brillengestelle, hundert Manuskripte, und ich der einzige ohne Manuskript, nur in Jackett und Cordhose, die denken bestimmt, ich bin ein westdeutscher Boulevard-Autor und schreibe nur vor dem Frühstück.(…)

geklaut von der Seite von Cora-Huebsch bei
www.bookcrossing.com


Der ganze Artikel in: Literaturen, Heft 5/2001

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