F. ist türkischer Herkunft und 17. Er hat eine missratene Schullaufbahn.und keinen Ausbildungsplatz . Mit seinen dunklen Locken und seinem offenen Gesicht sieht er fast aus wie ein junger VIVA-Star. Er hingegen treibt sich am liebsten in der Küche rum und wenn ihn ein Mädchen interessiert, will er ihm Essen servieren. Vor allem steckt er voll erfrischender Theorien.
Wir sprechen darüber, wie Jugendliche in der deutschen Nachkriegszeit gelebt haben, über Geschlechtertrennung, Tabus und Prüderie. F. meint, das sei aber auch nötig gewesen. Häh, warum? Ja, damals, da hätten die Leute voller Stress gesteckt, nach dem Weltkrieg, da hätten die das nicht auch noch verkraftet, diesen Stress da zwischen Männern und Frauen. Ja, Männer? die wärn wie im Tierfilm und Frauen?.äh, ganz anders. Heute hätten die Leute Geld und Frieden und seien entspannt, da könnten sie diesen Stress halt halbwegs ertragen.
Archiv des Autors: bellablogg
Trotzige Buben
Auf der Seite single-dasein.de wird eine beachtliche Zahl sogenannter Single-Forscher geführt und die Liste ?weiterer Forscher? ? deren Bemühungen in irgendeinem Zusammenhang mit der Single-Selbst-Erforschung und Generation-Golf-Identitäts-Vergewisserung stehen sollen ? beginnt mit Theodor W. Adorno.
Herr Stephan Wackwitz stellt Adorno ganz nah neben Salinger sowie die eigene verquälte Pubertät in den späten Sechzigern ins Zentrum des Ganzen:
„Es wäre einfach viel vernünftiger gewesen, denke ich heute oft, uns damals ein bisschen zu zeigen und beizubringen, wie man sich in der Welt zurechtfindet, statt unsere Ungeschicklichkeit geschichtsphilosophisch zu nobilitieren und uns damit in ihr einzusperren. Ich jedenfalls hätte den ganzen Adorno – und Kafka obendrein – liebend gern dafür eingetauscht, wenn ich es geschafft hätte, beispielsweise jene uschiobermeierhafte Kommilitonin mit den täglich wechselnden Garderoben mal zu einem Kaffee einzuladen. Und wenn ich viele junge Leute des Jahres 2001 kennen lerne – ihre unbefangene Zutraulichkeit, ihr entspannter Umgang mit gesellschaftlichen Anforderungen, ihre Freundinnen und oft sogar schon Ehefrauen -, dann bin ich einfach neidisch. Nicht nur, weil ich älter werde und alle Älteren auf alle Jungen in gewisser Weise neidisch sind. Sondern ich bewundere und neide ihnen ein bisschen eine Jugend ohne unsere Vorbilder. Ohne die linksradikalen Häuptlinge, die uns damals weismachten, wir müssten die Revolution machen und den Vorsitzenden Mao liebhaben. Ohne die gesellschaftlichen Zwänge, so grauenhaft angezogen herumzulaufen, wie wir damals herumlaufen zu müssen glaubten. Ohne Petra Kelly. Und eben auch ohne diesen ganzen Schmarren und intellektuellen Kitsch à la „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Das gibt es eben doch, ein richtiges Leben in der abgrundbösen Welt. Und wir hätten auch ganz gern eines gehabt. Aber wenn man mit der vollen Autorität des Professors, Naziopfers und Volldurchblickers empfänglichen und weltfremden Neunzehnjährigen diesen Quatsch einimpft, dann haben die dann wirklich kein richtiges Leben im falschen, also nämlich überhaupt kein richtiges Leben.“
Das ist noch eine relativ prägnante Aussage in einem verquasteten Geschlingere aus Unzufriedenheit mit der eigenen Biographie, die peinlich unmittelbar mit Beweiskraft ausgestattet wird, sowie hölzern-akademischer Bildungsbeflissenheit, die zeigt, dass das zurückliegende Individualproblem nicht bewältigt, nur rechthaberisch gewendet wurde.
(Wie´s auch im Roman „Walkers Gleichung“ von Wackwitz ist, den ich mir aus Versehen gekauft habe, und der zwischen der gleichen, völlig unsinnlichen Pseudo-Geschlechtlichkeit und akademischen Monumentalitäten schwankt ? stinklangweilig).
Wackwitz geht noch ein wenig weiter (oder nur etwas anders?) als Christian Schneider, der es ebenfalls ? wo auch die Erstveröffentlichung der Adorno/Salinger-Meditation war – in der taz tat: Man kommt (nicht) dahinter, ob die jetzt keine Jünger mehr sein wollen – oder einfach nochmal jünger sein. Ach so.
Linsen&Marx
Der erste entscheidende Wanderprediger in meinem Leben war ein „gescheiterter“ Realschullehrer in der Pfalz. Nicht nur gewesener Realschullehrer, sondern gewesener atheistischer Religions-Realschullehrer. Endgültig unmöglich geworden für die Schulverwaltung, als er lehrte, dass Marihuana weniger schädlich sei als Nikotin, was ja stimmt.
Wanderprediger haben offiziell wenig zu sagen und aus eigener Kraft mordsviel mitzuteilen.
Sie entwickeln eine gute Portion von dem, was unter dem Namen Charisma bekannt ist ? suchende und offene Seelen sind dafür empfänglich.
So scharte er den suchenden und offenen Teil der Gymnasialjugend um sich und hatte stets allerhand mitzuteilen, was dieser ganz neu und erstaunlich erschien: Wie die Liebe zu pflegen sei (frei!), warum Hubschrauber am Himmel fliegen (Verfassungsschutz!), was von Rentnern, Hausmeistern, Eltern und Lehrern zu halten ist (nichts: im Zweifelsfall und besonders bei entsprechendem Geburtsdatum: alles Nazis), warum man manchmal Angst hat (liegt am Kapitalismus!) und vielerlei bemerkenswerte Antworten mehr, kaum hatte man die Frage erahnt. Und auch auf scheinbar ganz unwichtige Fragen, die aber ganz wichtig waren, gab es eine Antwort: Wie kocht man Linsensuppe für 50 Personen? Wie immer: Mit Tomaten, viel Kabanossi und noch viel mehr Knoblauch. Äh: und dosenweise, kiloweise Linsen, natürlich. Was gibt´s im Zweifelsfall zu trinken: ein 50:50-Gemisch aus Schwarztee und Pfefferminztee. Punto. Basta.
Was den Wanderprediger ausmacht ist: Es gibt auf alles eine definitive Antwort. Er ist in sogenannten Kleinigkeiten wie einer Linsensuppe so bewandert und positioniert wie in den Großigkeiten, sagen wir mal dem Kapitalismus.
Ich darf an dieser Stelle mal sagen, dass ich exakt niemand kenne, dem der Wanderprediger und die durch ihn bewirkte Aufklärung geschadet hat, es sei denn, man war zu sehr unter der Fuchtel von Eltern und Lehrern ? die zu einem nicht gerade unerheblichen Teil eine satansähnliche Verführergestalt in ihm erkannten und bekämpften. Er galt abwechselnd oder gleichzeitig als schwul, pädophil, Drogendealer, Kommunist – und war nichts davon. Noch nicht mal Kommunist: Er erklärte uns, was an der Grünen Partei so prima sei (hab ich vergessen).
Ich hatte meine Zweifel an ihm, aber die waren ganz anderer Natur. Wenn er sich verliebte, und das war sympathischer- und unterhaltsamerweise nicht gerade selten der Fall, war von FREIER Liebe nichts mehr zu hören, sondern er rechnete dem nicht erreichbaren Wesen alle möglichen Fehler auf, weswegen es nicht erreichbar sei. Junge Frauen, die der freien Liebe huldigten, nicht wegen seiner Predigt, sondern einfach so, hatte er im Verdacht, sich zum Objekt zu machen. Hatte man selbst Liebeskummer, so vermerkte er gleichwohl, man habe zuviel Besitzansprüche. Es war nicht so richtig logisch. Dann hatte er uns irgendwie Marx nahe gebracht und wollte uns anschließend aufs ökologische Blümchengießen einschwören. Und das mit den Hubschraubern (s.o.) konnte ich ihm auch nicht abnehmen.
Der gefürchtete Satan der pfälzischen Kleinstadt war in Wirklichkeit ein etwas korpulenter, bärtiger Aufklärer, der aber eine einfache Mission erfüllte und die auch nie veränderte. Er machte immer das und sagte immer das, was er immer machte und sagte. Ob es die Linsensuppe betraf oder den Kapitalismus. Während die Gymnasialjugend entweder die Lust verlor oder sich irgendwann schlauer und bedeutender wähnte.
Fortsetzung folgt.
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