Parallelwelten

„Wir waren intensiv mit Experimenten und Reformen beschäftigt. Wir waren entschlossen, ohne Damastservietten auszukommen, stattdessen aber große Vorräte von Toilettenpapier zu haben; wir waren entschlossen zu malen, zu schreiben, nach dem Abendessen Kaffee, statt um neun Uhr Tee zu trinken. Alles musste neu, alles musste anders sein. Alles wurde ausprobiert.“ Ein so schönes Zitat, aus dem Jahr 1920 stammend, vorgetragen im Memoir Club, nein, nicht von einem Mitglied der Gruppe Cobra, sondern von Virginia Stephen (so stehts bei Renate Wiggershaus).
Noch überzeugender: Die Trauung fand am 16. August statt.

Meine Hand

Wenn ich dich liebe
bedingungslos, wie ich es bei dir tue,
alles nehme, was kommt, vielleicht mehr als ich mir von mir selbst aus vorgestellt habe…
an bedingungslosem Lieben von anderem, nicht mich-ich,
sondern du…
ganz du werde,
dann:
merke ich den Moment ganz stark, wo ich dir diese Hand,
die für all dies steht…
entgegenstrecke.

Und dann habe ich mich überschritten.
Wenn diese, meine Hand, nicht genommen wird.
nicht gehalten wird.

Dann:
fuchtelt sie in der Leere rum,
ganz ungeliebt.

Und dann will diese verschmähte Hand wieder bei mir sein,
sie hat sich über die Grenzen nach draußen gewagt,
ins Fremde,
und ein Zuhause ist ihr lieber.

Diese Hand, die lieben wollte
und einen Schatz finden wollte,
geht dann ein wenig demütig heim,
wie Kinder, die ausgerissen waren
und das Paradies nicht fanden.
Ein wenig beschämt in diesem Moment.

(Wohlwissend, dass Zuhause kein Paradies war,
aber dass dann doch Zuhause Zuhause ist.)

Und da liegt sie die kleine Hand,
wiedergekommen im Zuhause,
erschöpft.

Das Liebenwollen hat sie überlebt!

Sie schält sich dann in sich selbst,
reckt sich
und fragt:
Was soll aus mir noch werden?

Die Zeit

Mein Haus sagte zu mir:
„Verlaß mich nicht, denn hier wohnt deine Vergangenheit“.
Und die Straße sagte zu mir:
„Komm und folge mir, denn ich bin deine Zukunft“.
Und ich sage zu beiden, zu meinem Haus und zu der Straße:
„Ich habe weder Vergangenheit, noch habe ich Zukunft.
Wenn ich hier bleibe, ist ein Gehen in meinem Verweilen;
und wenn ich gehe, ist ein Verweilen in meinem Gang.
Nur Liebe und Tod ändern die Dinge.“

Khalil Gibran

16. August 2006

Die Erwachsene
Das alles stand auf ihr und war die Welt
und stand auf ihr mit allem, Angst und Gnade,
wie Bäume stehen, wachsend und gerade,
ganz Bild und bildlos wie die Bundeslade
und feierlich, wie auf ein Volk gestellt.

Und sie ertrug es; trug bis obenhin
das Fliegende, Entfliehende, Entfernte,
das Ungeheuere, noch Unerlernte
gelassen wie die Wasserträgerin
den vollen Krug. Bis mitten unterm Spiel,
verwandelnd und auf andres vorbereitend,
der erste weiße Schleier, leise gleitend,
über das aufgetane Antlitz fiel

fast undurchsichtig und sich nie mehr hebend
und irgendwie auf alle Fragen ihr
nur eine Antwort vage wiedergebend:
In dir, du Kindgewesene, in dir.

Aus: Rilke, Neue Gedichte (1907)

16. August 2002

Geburt der Venus
An diesem Morgen nach der Nacht, die bang
vergangen war mit Rufen, Unruh, Aufruhr, –
brach alles Meer noch einmal auf und schrie.
Und als der Schrei sich langsam wieder schloß
und von der Himmel blassem Tag und Anfang
herabfiel in der stummen Fische Abgrund -:
gebar das Meer.

Von erster Sonne schimmerte der Haarschaum
der weiten Wogenscham, an deren Rand
das Mädchen aufstand, weiß, verwirrt und feucht.
So wie ein junges grünes Blatt sich rührt,
sich reckt und Eingerolltes langsam aufschlägt,
entfaltete ihr Leib sich in die Kühle
hinein und in den unberührten Frühwind.

Wie Monde stiegen klar die Kniee auf
und tauchten in der Schenkel Wolkenränder;
der Waden schmaler Schatten wich zurück,
die Füße spannten sich und wurden licht,
und die Gelenke lebten wie die Kehlen
von Trinkenden.

Und in dem Kelch des Beckens lag der Leib
wie eine junge Frucht in eines Kindes Hand.
In seines Nabels engem Becher war
das ganze Dunkel dieses hellen Lebens.
Darunter hob sich licht die kleine Welle
und floß beständig über nach den Lenden,
wo dann und wann ein stilles Rieseln war.
Durchschienen aber und noch ohne Schatten,
wie ein Bestand von Birken im April,
warm, leer und unverborgen, lag die Scham.

Jetzt stand der Schultern rege Waage schon
im Gleichgewichte auf dem graden Körper,
der aus dem Becken wie ein Springbrunn aufstieg
und zögernd in den langen Armen abfiel
und rascher in dem vollen Fall des Haars.

Dann ging sehr langsam das Gesicht vorbei:
aus dem verkürzten Dunkel seiner Neigung
in klares, waagrechtes Erhobensein.
Und hinter ihm verschloß sich steil das Kinn.

Jetzt, da der Hals gestreckt war wie ein Strahl
und wie ein Blumenstiel, darin der Saft steigt,
streckten sich auch die Arme aus wie Hälse
von Schwänen, wenn sie nach dem Ufer suchen.

Dann kam in dieses Leibes dunkle Frühe
wie Morgenwind der erste Atemzug.
Im zartesten Geäst der Aderbäume
entstand ein Flüstern, und das Blut begann
zu rauschen über seinen tiefen Stellen.
Und dieser Wind wuchs an: nun warf er sich
mit allem Atem in die neuen Brüste
und füllte sie und drückte sich in sie, –
daß sie wie Segel, von der Ferne voll,
das leichte Mädchen nach dem Strande drängten.

So landete die Göttin.

Hinter ihr,
die rasch dahinschritt durch die jungen Ufer,
erhoben sich den ganzen Vormittag
die Blumen und die Halme, warm, verwirrt,
wie aus Umarmung. Und sie ging und lief.

Am Mittag aber, in der schwersten Stunde,
hob sich das Meer noch einmal auf und warf
einen Delphin an jene selbe Stelle.
Tot, rot und offen.

Aus: Rilke, Neue Gedichte (1907)

HUH!

Indes der Stolze lässig dagesessen
Drang er in Mädchen mit Verführerblicken
Sah täglich zehn und hatte zehn vergessen
Doch wollte jede ihn so gern beglücken

Daß er nachts träumt von einer Riesenkuh
Und seine Unschuld fahndet nach dem Grund
Der Lüsternheit, indes ihn jene immer
Schmählicher unterwerfen. Immer schlimmer
Wie eine große Hündin spielt mit einem kleinen Hund.
H u h !
Ernst Fuhrmann

Und

und
dann diese Schwüle.
Die Wangen tropfen zu Boden. Um 23 Uhr. Meine Güte, was ist es schwül. Ein Gespräch übers Wetter wäre jetzt gut. So ist man allein, mit Sensationen, die man eigentlich für unglaublich hält. Ich fühle mich als wäre ich das schweißtreibende Wetter.
und
du
wenn deine Angst und Unsicherheit mich durchließe zum Lieben, was wäre das einfach.