Loblos

Jetzt dachte ich, es sei noch Hoffnung. Die ZEIT verweist auf eine letzte Rettung in allen anerkennungsdefizitären Phasen und Fällen:
Die Internet-Seite www.lobgenerator.de.
„Sie überhäuft jeden, der einen Mausklick hinbekommt, mit Lobpreisungen in den Kategorien »Job«, »Aussehen« und, besonders ersprießlich, »Allgemein«.
Mit dieser brillanten Erfindung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Mensch Lob braucht wie die Blume Dünger.“
Wie wahr, denke ich, wie überaus wahr und klicke die Seite an, erst beim zweiten Mal baut sie sich äußerst mühsam auf, und dann tut sich nicht´s mehr, gar nichts.
Niemand lobt mich!

Tanzwirtschaft

Auszug aus „Kaffee Burger. Kult“ von Moritz Rinke:

(…) Ich stehe am anderen Ende der Bar und denke darüber nach, ob ich eigentlich Probleme habe, und warum ich nicht auch einfach mal etwas betont unangepasster aussehen könnte, weil, so etwas schüchtert mich ja persönlich immer sehr ein: Leute, die mir so betont unangepasst gegenübertreten und die sich wahrscheinlich stundenlang damit beschäftigen, wie sie betont unangepasst und trotzdem gut dabei aussehen könnten: ja, diese Menschen geben vor, dem herkömmlichen Zeichen kapitalistischer Außenansichten zu entsagen, aber sie machen sich stundenlang Gedanken darüber, wie das aussehen könnte. Ich glaube, so etwas nennt man „Szene“.
Ich hole mir noch einen Wodka und starre erst auf die Velourstapeten, dann auf die Resopaltäfelung und jetzt wieder auf den armen Lesetisch.

Das Kaffee Burger füllt und füllt sich immer mehr. Plötzlich sagt hinter mir jemand: „Du stell dir vor, ich hatte letzte Woche eine Schreibblockade!“, aber ich traue mich nicht, mich umzudrehen, weil ich plötzlich denke: Alles Literaten hier! Überall Literaten ringsum! Die haben auch alle Zettel auf den Sprelacart-Tischen und Stifte und rauchen und notieren Gedanken. Eine Tatsache, die mich ungemein einschüchtert: mindestens hundert Literaten, alle rauchend und notierend und in einer kleidermäßig betonten Absage herkömmlicher Zeichen, circa siebzig Wim-Wenders-Brillengestelle, hundert Manuskripte, und ich der einzige ohne Manuskript, nur in Jackett und Cordhose, die denken bestimmt, ich bin ein westdeutscher Boulevard-Autor und schreibe nur vor dem Frühstück.(…)

geklaut von der Seite von Cora-Huebsch bei
www.bookcrossing.com


Der ganze Artikel in: Literaturen, Heft 5/2001

Salecina

also: Salecina liegt sehr hoch droben auf einem hohen Berg. Auf Schweizer Seite grüßt von unten Maloja, andererseits: Wenn man 17km runter fährt, und zwar ziemlich runter, fast senkrecht, ist man in Italien, da stehen dann die Palmen, während oben Gletscher und Schnee grüßen.
Salecina ist heute eine Art Tagungshaus, wurde einstmals gegründet von Theo Pinkus, in anarchistischer Absicht, aber anarchistisch in der Schweiz ist ja irgendwie rührend und lieb: Sowie, wenn junge polnische Rockmusiker einen Papstwitz machen. Irgendwann in den 70ern soll die Schweizer Armee aufgezogen sein, weil sich junge Menschen in Salecina nackt auf die Wiese gelegt haben.
Ich war zweimal dort, einmal mit 18 und einmal mit 31, bald wird´s also wieder Zeit, und habe genossen, wie nah man am Himmel ist, man versteht dann Schillers „Erhabenes“ erst richtig. Die Sterne reflektieren am Nachthimmel so, als könnte man sie herunterholen. Im Haus herrschen immer noch Basisdemokratie und Selbstverwaltung und es werden als mal lustige Versammlungen über Putzdienst&Weltgeschehen abgehalten.
In Sils Maria, unten, gibt´s Cafés, in denen Nietzsche, philosophierend und syphillisierend saß, und auch Adorno war da und hat sogar darüber geschrieben.

besonders schöne ortsnamen

„An einem grauen verhangenen Maitag kam ein munterer, magerer Mann aus der Gegend von Korpilombolo nach Pajala gewandert.“
Korpilombolo: reizend. Bisher fand ich immer schon Bobolino einen ganz reizenden Namen für einen übrigens auch allerliebsten Ort. Sodass man eine Reise vorschlagen sollte von Bobolino in Nordpolen nach Korpilombolo in Nordschweden. Wie überhaupt das Finnische, das in diesem abgelegenen Grenzgebiet hauptsächlich das Sagen hat, mancherlei schöne Wörter zu bieten hat.
Dies alles erfährt man – und noch viel mehr – bei Mikael Niemi.

Schmetterlinge können nicht weinen…

Kamele schon: Das weiß ich aus dem Kino.
In einem anderen Film weint ein Kind so herzerweichend und trostlos, wie´s nur geht.
Zwei Filme haben wir gesehen in jüngster Zeit, mit einem buddhistischen Hintergrund, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
Die harte und schroffe und schonungslose Variante kommt aus Korea und heißt: Frühling, Sommer, Herbst und Winter ? und wieder Frühling. Buddhismus als ewige Wiederholung triebhafter Gefährdungen und als ewige Wiederholung der Versuche, sie in Ritualen zu bannen. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen Berührung und Mord, zwischen Emotionalität und Verhängnis. Mensch und Tier sind nicht unversöhnt, sondern unversöhnbar, ziehen sollipsistisch ihre Kreise, verweisen aufeinander als und in Symbolen und laden so eine Handlung auf, in der die Urgewalten wüten. Das mütterliche Prinzip ist aus der großen Ästhetik des Kalten und Deutlichen verschwunden. Der trostlose Knabe entbehrt der Mutter, er wird die Gattin töten und in unmittelbarer Nähe sein, wenn eine gesichtslose Mutter ins Eis einbricht und ihr Leben in der großen Kälte verliert.
kleebild
In der Kino-Mongolei hingegen, in der sogar ein weinendes Kamel seine Geschichte hat, ist der Fürsorgezusammenhang zwischen den Generationen und zwischen Mensch und Tier fast nahtlos. Ein überfordertes Kamel entdeckt seine zunächst verweigerte Mutterliebe und braucht dazu herzerweichende Musik und viel menschliches Publikum. Sanfte Logik eines bescheidenen, irdisch gewordenen Märchens. Das kommt ganz ohne Symbole aus. Zwischen Ritualen und ihrer Bedeutung besteht kein Abstand. Eine idealisierende Liebeserklärung an eine untergehende Welt? Denn der Abstand zwischen Bildern und Realität kommt zum Schluss ins Nomadenheim: in Form des Fernsehens, auf Wunsch der jüngsten Menschengeneration. Und der kann man, in diesem Film, kaum etwas abschlagen.